WBN exklusiv: Gastbeitrag zu den Konsequenzen nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin

Deutschland braucht eine nationale Anti-Terror-Strategie

Von Uwe S c h ü n e m a n n, Innenminister a.D.

Der blutige Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Er macht aber unmissverständlich deutlich, dass Deutschland neben Frankreich in den Mittelpunkt der jihadistischen Gewalttäter gerückt ist.

Nach dem Tod des mutmaßlichen Attentäters hat Bundesinnenminister Thomas de Maiziere erklärt, dass nunmehr die politische Diskussion über unsere Sicherheitspolitik beginnt. Dabei ist seit Jahren bekannt, dass Deutschland im Fokus des islamistischen Terrors steht. Leider können die notwendigen Maßnahmen immer erst dann durchgesetzt werden, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Es wäre jetzt die Stunde für eine nationale Anti-Terror-Strategie.

(Zum Bild: Der ehemalige CDU-Innenminister Uwe Schünemann hatte frühzeitig vor der terrostischen Bedrohung in Deutschland und Europa gewarnt. In einem Beitrag für die Weserbergland-Nachrichten.de geht der Landtagsabgeordnete aus Holzminden auf die aktuelle Situation vor dem Hintergrund des Anschlages in Berlin ein. Foto: wbn)

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Unsere föderale Sicherheitsarchitektur birgt zweifelsfrei viele Vorteile bei der Bekämpfung von Kriminalität. Der Kampf gegen den Terrorismus erfordert allerdings einen ganzheitlichen Ansatz. Nach 9/11 haben Bund und Länder bereits eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung beschlossen. Das war wichtig und richtig. Doch bis heute fehlt es an einer allumfassenden Nationalen Anti-Terror-Strategie. Jetzt ist es an der Zeit, aus Stückwerk ein schlagkräftiges Ganzes zu formen.

Erforderlich ist zunächst eine ressortübergreifende Betrachtung. Denn neben den innenpolitischen Kernbereichen des Bundes und der Länder berührt die Terrorismusbekämpfung die Interessen weiterer Ressorts (Justiz, Verteidigung, Außen, Entwicklung). Hier ist zukünftig eine enge Verzahnung erforderlich, die über eine gelegentliche Tagung des Sicherheitskabinetts weit hinausreichen muss. Eine ressortübergreifende Anti-Terror-Strategie von Bund und Ländern verdichtet sich schlaglichtartig vor allem in den folgenden acht Handlungsfeldern:

1. Präventive Kontrollinstrumente gegen „Top-Gefährder“ schaffen und nutzen

Die Zahl islamistischer „Gefährder“ ist in den letzten Jahren rapide angestiegen. Sie gelten als „harter Kern“ des gewaltorientierten Islamisten-Spektrums in Deutschland und stellen die operative Terrorismusbekämpfung der Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Im Wesentlichen spielen dabei drei Phänomene eine entscheidende Rolle: Sogenannte „Homegrown-Terroristen“, die zum Beispiel durch das Internet radikalisiert werden. Zurück gekehrte „foreign fighters“, die im Ausland gekämpft oder terroristische Ausbildungslager durchlaufen haben. Gefährder, wie der tunesische Attentäter Anis Amri, die bewusst das Asylrecht missbrauchen und so nach Deutschland einreisen. Durch dieses Anschwellen des „Gefährder“-Potenzials stoßen die ohnehin stark beanspruchten Observierungskräfte unserer Sicherheitsbehörden an ihre Belastbarkeitsgrenzen. Deshalb müssen nach dem Vorbild europäischer Nachbarstaaten verstärkt präventive Kontrollinstrumente gegen „Top-Gefährder“ Verwendung finden. Beispielhaft seien Meldeauflagen, Aufenthaltsverbote, Mobiltelefon- und Computerverbote, sowie elektronische Fußfesseln genannt. Der Zugriff auf Messanger-Systeme wie WhatsAPP ist längst überfällig. Gefährder, die nicht sofort abgeschoben werden können und von denen nachweislich eine Anschlagsgefahr ausgeht, müssen auch längerfristig in Haft genommen werden können. Es ist fatal, dass Rot/Grün einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesinnenministers seit langem blockiert. Ziel muss es sein, „Gefährder“ in ihrem Aktionsradius wirksam zu begrenzen und sie von extremistischen Aktivitäten abzuhalten.

2. Migrationsströme regulieren und kontrollieren

Für eine systematische Infiltration der Migrationsströme nach Europa durch islamistische Terroristen gibt es keine überzeugenden Beweise. Dennoch zeigt der aktuelle Fall des Asylbewerbers Anis Amri, dass sich potenzielle Attentäter unter die Flüchtlinge mischen oder sogar gezielt eingeschleust werden. Der so genannte Islamische Staat und Al-Qaida sind lernende Terrornetzwerke, die jede sich ihnen bietende Möglichkeit nutzen, um den ihnen verhassten westlichen Gesellschaften Schaden zuzufügen. Es wäre sicherheitspolitisch naiv anzunehmen, dass die Zuwandererwellen nach Europa hierbei eine Ausnahme bildeten. Vor diesem Hintergrund müssen die Migrationsströme, notfalls auch durch verschärfte nationale Grenzkontrollen, klar reguliert und kontrolliert werden. Transitzentren an den deutschen Grenzen, in denen zunächst die Identität festgestellt wird, Vorstrafen ermittelt werden und aus denen nach einem beschleunigten Asylverfahren ggf. auch wieder abgeschoben wird, sind sinnvoll. Sie sind keineswegs ein „Anschlag“ auf unser Asylrecht. Darüber hinaus sollte Beugehaft gegen Asylbewerber ermöglich werden, die ihre Identität hartnäckig verschleiern und so ihre Abschiebung nach Ablehnung ihres Asylantrages verhindern.

3. Technische Standards vereinheitlichen und technische Zusammenarbeit intensivieren

Die bereits auf Bundes- und Länderebene nicht kompatiblen Systeme zur Registrierung der Migranten zeigen beispielhaft, dass die Technik der Sicherheitsbehörden noch immer nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist. Hier sind schnellstmöglich die geeigneten Voraussetzungen für eine reibungslose Datenerfassung und für einen barrierefreien Datenaustausch zu schaffen – und zwar nicht nur deutschlandweit, sondern möglichst europaweit. Jedes einzelne Bundesland hat eigene Computer- Programme und- Systeme für die Sicherheitsbehörden entwickelt. Dabei sind im Kampf gegen den Terrorismus immer kürzere und aufwendigere technische Innovationszyklen erforderlich. Eine nationale Anti-Terror-Strategie kann als Schrittmacher für Kooperationen und Ressourcenbündelung zu mehr Effizienz in der Terrorismusbekämpfung beitragen. Darüber hinaus werden davon Impulse für eine verbesserte Informationsgewinnung, -steuerung und -verarbeitung ausgehen. Die Informationsgewinnung auf allen Ebenen (international, national, regional, lokal), der intensive Austausch von Informationen und ihre zielgerichtete Verarbeitung sind die Fundamente einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung.

4. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum an einem Ort

Parallele und sich überschneidende Zuständigkeiten können wir uns nicht mehr leisten. Die Terrorismusbekämpfung erfordert eine nationale Steuerung und Koordinierung – in einer Hand, an einem Ort. Deshalb muss ein Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum von Polizei und Nachrichtendiensten geschaffen werden. Die gegenwärtig auf verschiedene Standorte verteilten Abwehrzentren sind unter einem Dach zusammenzufassen, um die Expertise der Sicherheitsbehörden gezielt zu bündeln. Auch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten darf kein sicherheits- und rechtspolitisches Dogma mehr sein. Seine Relevanz ist historisch überholt, und es verleitet zu einer Mehrfacherhebung und –verarbeitung personenbezogener Daten. Das beeinträchtigt nicht nur die Effektivität der Terrorismusbekämpfung, sondern provoziert auch entbehrliche Grundrechtseingriffe.

5. Nationale Islamismusprävention

Gegenwärtig gleicht die Islamismusprävention einem Flickenteppich von Ansätzen und Maßnahmen; ganzheitliche Ansätze sind die Ausnahme. Mit einer Nationalen Anti-Terror-Strategie sollte die Islamismusprävention bundesweit optimiert und vereinheitlicht werden. Dabei müssen nationale, länderspezifische und lokale Handlungsansätze miteinander verzahnt werden. Das reicht vom Ausbau interkultureller Kompetenzen bei den Sicherheitsbehörden über Sicherheitspartnerschaften zwischen örtlicher Polizei, Kommunalverwaltungen, Sozialverbänden und Moscheegemeinden bis hin zu Programmen, ausstiegswillige Islamisten aus militanten Zirkeln „heraus zu brechen“.

6. Schaffung zukunftsweisender Standards bei der Aus- und Fortbildung

Unsere Sicherheitsbehörden sind in Zukunft noch stärker auf gesellschaftsanalytische Fähigkeiten angewiesen, um sicherheitsrelevante Szenarien rechtzeitig aufzuspüren und bei Fehlentwicklungen gezielt gegenzusteuern. Entsprechend benötigen sie ausreichend kriminologisches, sozial- und islamwissenschaftliches „Knowhow“ sowie einen intensiven Austausch mit der Wissenschaft. Entsprechende Standards müssen bei der Aus- und Fortbildung national einheitlich festgelegt werden. Zudem sollte die vermehrte Einstellung von Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft ermöglicht werden. Der Generalist wird bei der Polizei immer weniger gefragt sein.

7. Objektschutz durch die Bundeswehr zulassen

Inwieweit auch militärische Mittel zur Abwehr oder Bewältigung eines Großanschlags im Inland eingesetzt werden dürfen, ist bereits seit Jahren ein vieldiskutierter Streitpunkt, den eine nationale Anti-Terror-Strategie keinesfalls ausblenden darf. Bei etwaigen Anschlägen aus der Luft, aber auch von See her, sind die Polizeien von Bund und Ländern klar überfordert. Im Notfall wäre hier ein Einsatz der Bundeswehr sinnvoll, stößt aber an zu enge rechtliche Grenzen. Ein Blick auf das Nachbarland Frankreich zeigt außerdem, wie wichtig es ist, militärische Kräfte im Inland für Objektschutzaufgaben heranzuziehen, um die Polizei in einer zugespitzten Bedrohungslage zu entlasten und die innere Ordnung zu stabilisieren. Entsprechend besteht in Deutschland akuter Handlungsbedarf, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen anzupassen.

8. Polizeiliche Spezialeinheiten des Bundes und der Länder aufstellen

Simultan organisierte Anschläge und Geiselnahmen, wie sie in Paris bereits stattgefunden haben, können sich auch in einer deutschen Großstadt abspielen. Daher wächst die operative Bedeutung von schnell verfügbaren polizeilichen Spezialeinheiten des Bundes und der Länder, die es mit schwerbewaffneten, paramilitärisch organisierten und zu komplexen Aktionen fähigen Terroristen aufnehmen müssen. Eine optimale Ausstattung solcher Spezialeinheiten in Technik, Eigenschutz und Bewaffnung sowie die Sicherstellung ihrer Mobilität sind dringend geboten.

Uwe Schünemann MdL

Innenminister a.D.

 

 
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