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Der Kommentar

Warum die Groß-Britannier mit dem Brexit ihre Größe verloren haben und der Scotxit die Schrumpfkur einleitet

Von Veronica Maguire MA

Emmerthal / Glasgow (wbn). Entsetzen war mein erstes Gefühl. Nach der Brexit-Entscheidung der Hälfte meiner britischen Landsleute bin ich enttäuscht und wütend.

Entsetzt, weil soviel Blindheit im Spiel war – wissen die Briten nicht was die Flagge der europäischen Union bedeutet, die auf etlichen Bauprojekten im Vereinigten Köngreich weht, wo ganz groß geschrieben steht: „funded by the European Union“, oder „joint project, funded in part by the European Union“?

Wir sind doch eine Community, ein Club der Freunde. Man kann nicht einfach austreten und erwarten, daß man immer noch die Privilegien und Vorteile der Gemeinschaft geniessen kann. Großbritannien hat sich gerade in die Kälte hineinkatapultiert, wo wir bei Null anfangen müssen.

Ich bin enttäuscht, weil meine Landsleute sich haben blenden lassen von der Sehnsucht nach einem „Great Britain“, nach einem großartigem Land, das vor 70 Jahren mal eine Siegermacht war, aber  inzwischen nicht mehr in dieser Form existiert.

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Wir waren doch gerade dabei uns mühsam wieder als „manufacturing nation“ neu zu etablieren, wir hatten uns endlich wieder auf alte Traditionen und Fähigkeiten besonnen. „Made in Great Britain“ sollte wieder ein stolzes Merkmal für Produkte werden.

Aber da waren die „Old Etonians“ David Cameron und Boris Johnson, die Europa gegenüber skeptisch waren, die ihr Gift - mal lauter, mal leiser – über Jahre hinweg stetig verspritzt haben. Dann kam der Bruch, als Cameron bemerkte, daß „Remain“ doch besser wäre als ein Brexit für Großbritannien. Boris Johnson warf sich anschließend umso mehr für den Brexit ins Zeug. Schon merkwürdig für einen Mann, der in sich einen Schmelztiegel aus muslimischen, christlichen und jüdischen Vorfahren trägt.

Zwei grosse Schuljungen also, die nie erwachsen wurden, haben es aus ihrem Streit heraus geschafft unser ganzes Land zu isolieren und in ein finanzielles Desaster zu stürzen, genauso wie früher während ihrer Studentenzeit in Eton als sie in hochnäsigem Übermut Restaurants in Trümmerfelder verwandelt haben, um erst viel später für den Schaden aufzukommen. Internationale Großunternehmen werden nicht zögern, ihre Operationen dorthin umzusiedeln, wo es Berechenbarkeit gibt, und bestehende Strukturen.

Großbritannien ist jetzt zu einem kaputten Floss geworden, das ganz alleine in der kalten Nordsee umherirrt - und nirgendwo andocken kann weil der Kapitän die Täue über Bord geworfen hat.

Wütend? Ja ich bin wütend, weil David Cameron, um den Erhalt seiner Macht durchzuprügeln, uns Briten diese Vision vorgegaukelt hat, die Vision eines angeblich „freien“ Landes das „endlich“ seine eigene Entscheidungen treffen kann - frei von der Macht aus Brüssel.

Nach seiner Meinungsänderung hin zu „Remain“ überliess er dem Feld eine grosse Gruppierung von Anti-Europäern, die Trump-ähnlich leere Parolen schrien: „Jetzt entscheiden wir über unser Schicksal“ oder „Rule Britannia“.

Das Problem für mich und andere „Ex-Patriots“ ist, daß wir uns zuerst als Europäer empfinden, und uns erst an zweiter Stelle als Menschen aus Schottland, Nordirland, Wales, oder England fühlen. Nach 42 Jahren in Deutschland fühle ich mich eher als Weltbürgerin mit Wohnsitz in Emmerthal, weil viele Bürger weltweit inzwischen sehr engmaschig miteinander arbeiten und sich austauschen. Know-how-Transfer und internationaler Ideenreichtum eröffnen uns eine Zukunft der Netzwerke und neue, bisher unvorstellbare Möglichkeiten. Nationalismus war gestern.

Die Schotten werden nun ihren Scotxit aus Großbritannien einleiten, weil sie sich weiterhin als Europäer fühlen und EU-Mitglied bleiben wollen. Die Nord-Iren dürften dem folgen.

Groß-Britannien wird zum Klein-Britannien schrumpfen. Genau das aber haben die Brexit-Gläubigen nicht bedacht oder wahrhaben wollen. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass im Brexit-Lager viele die Abstimmung gründlich missverstanden haben. Sie wollten dem blasierten Old Etonian Boy David Cameron nur mal ein blaues Auge verpassen – dass dabei die Britische Insel von Europa ein für allemal abdriftet und der „Kontinent“ aus britischer Sicht hinter der Nebelbank einer unklaren Zukunft verschwindet, das haben sie nicht auf ihrer Rechnung gehabt. Verzweifelt versuchen jetzt mehr als eine Million Briten mit der Unterzeichnung einer Petition an das Parlament in London das Ruder herumzuwerfen.

Sie wollen den Brexit ungeschehen machen. Typisch die Begründung: „… ich dachte, wir würden trotzdem bleiben“.

„And you’re singin’ the songs, singin’ this is the life, and you wake up in the mornin’ and your head feels twice the size“ beschreibt sehr gut die Katerstimmung nach dem Brexit, die nun gefühlt Monate, wenn nicht Jahre andauern wird.

Das Lied stammt von Amy Macdonald, Sängerin aus Schottland die von meiner Heimatstadt Glasgow singt - aufgewachsen sind wir beide in Bishopbriggs, 5 Meilen von der Großstadt entfernt. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie in Göttingen.

In einer deutschen Stadt - und in einer europäischen.

 

 

 

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