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Er ist der historische Türmer von Bad Münder

148 Stufen zum "Bleiernen Boden" - Klaus Kork hat schon von Amtes wegen den ultimativen Überblick

Von Frank W e b e r

Bad Münder (wbn). Seine Vorgänger durften schon Fernsehen, da war das Fernsehen noch gar nicht erfunden. Klar doch, der Mann ist ein „Türmer“. Klaus Kork. Der offizielle Türmer von Bad Münder. Neudeutsch so was wie ein mittelalterlicher Sicherheitsbeauftragter - für das Wohl und Wehe einer ganzen Stadt.

Samstag, 14 Uhr. Der Eingang zum Turm-Treppenhaus der Petri-Pauli-Kirche in Bad Münder am Deister ist geöffnet, Sonnenstrahlen erfassen die ersten Stufen zum knapp 59 Meter hohen Turm, lassen einen ersten Blick auf das Innenleben des altehrwürdigen Gebäudes zu.

Vier Gäste begleiten ihn zu seinem Spitzenjob

Neben der knorrigen Holztür steht eben jener Kork, ein Kerl wie dem Mittelalter entlaufen. Weißes Rüschen-Hemd, grauer Filzmantel, Kniestrümpfe, Sandalen. Über der rechten Schulter trägt er ein Signalhorn, das wichtigste Arbeitsgerät seiner mittelalterlichen Kollegen, wenn sie hoch hinaus mussten. Am breiten ledernen Gürtel prangt respektheischend der Dolch. Der Türmer von Bad Münder hat heute wieder, wie an jedem ersten Samstag im Monat, zur Turmbesteigung geladen.

Vier Gäste dürfen ihn diesmal zu seinem Spitzenjob über den Dächern von Bad Münder begleiten. Erwartungsvoll sitzen sie auf der hölzernen Bank an der Kirche im Schatten. Die erste Überraschung: Der Türmer ehrenhalber ist als Mann für das „höchste Amt“ auch selbst schon in hohem Alter. 75 Jahre sind es, die er freilich vornehmlich als gelernter Masseur und medizinischer Bademeister verbracht hat. Erst als Rentner fühlte er sich zu höherem berufen, zum offiziellen Türmer von Bad Münder, der als Sendbote einer vergangenen Zeit in seinem historischen Outfit die Touristen erfreut.

Auch sonst ist er aus besonderem Holz geschnitzt: In seiner Freizeit fertigt er Wegweiser mit Schnitzerein und aufwändige Holzmodelle. Und Hobby-Jäger ist er auch noch, kam 1945 von Danzig nach Bad Münder, ist seitdem in der Stadt verwurzelt. Als "Der Türmer" führt er Konfirmandengruppen, Geburtstagsgesellschaften oder Kurgäste nach oben in sein alles überragendes Reich der einsamen Höhe.

(Zu den Bildern auf der Startseite: Klaus Kork im mittelalterlichen Outfit - auf dem Turm zeigt sich die wahre Größe des Türmers. Darunter: Über den Dächern von Bad Münder werden die Sorgen des Alltags ganz klein. Fotos: Frank Weber/Exklusiv: Weserbergland-Nachrichten.de)

 


Eine Treppe mit eingebauten Stolperfallen

Fortsetzung von Seite 1

148 Stufen sind es bis zur Aussichtsplattform, dem "Bleiernen Boden", auf dem im Mittelalter der Türmer stand, um nach Feuer und Feinden Ausschau zu halten. Die 1528 in dieser Form fertiggestellte Empore ist nach wie vor der höchste Punkt in Bad Münder, mit weitreichendem Ausblick in alle Himmelsrichtungen. Woher die Bezeichnung von dem „Bleiernen Boden“ kommt, weiß allerdings auch er nicht. Diejenigen, die ihm in die Turmspitze folgen, bekommen jedoch nahezu ausnahmslos nach dem kräftezehrenden Rauf und Runter bleischwere Füße.

Noch bevor der Aufstieg beginnt, macht Kork deshalb seinen Gästen Mut: "Wir gehen etappenweise hoch, damit ihr nicht aus der Puste kommt". Zum Aufstieg erläutert er die Geschichte der Kirche, die gleich in mehrfacher Hinsicht besonders ist. Die erste Eigenheit: Der Altar ist untypischerweise gen Norden ausgerichtet - "Das war schlicht Platzmangel". Der Türmer zuckt die Schultern, zeigt dann auf die Quadersteine an den Ecken des Gebäudes. "Obernkirchener Rotsandstein", der vor fast 600 Jahren mit Ochsenkarren nach Bad Münder transportiert worden war. Kork bittet den Letzten in der ihm folgenden Gänsemarschlinie, die Tür hinter sich zu schließen. Fürsorglich blickt er hinter sich, gibt Acht, dass jeder wohlbehalten nach oben kommt. Türmer haben das Kümmerer-Gen.

Tagsüber das Horn, nachts die Laterne

Nicht ohne Grund, denn schon die erste Treppe hat es in sich: In ihr sind tückische Stolpersteine verbaut, unterschiedlich hohe Stufen. "Damit sollte es dem Feind schwergemacht werden, den Türmer zu erreichen". Durchaus nachvollziehbar, hatte der Türmer doch schon im Mittelalter aus seiner erhabenen Position den absoluten Überblick, meldete Feuer und feindliche Truppen schon von weitem. Tagsüber mit dem Horn, nachts mit einer geschwenkten Laterne. Wenn es dann doch jemand bis in den Turm schaffte, erwartete ihn hinter der steinernen Wand im ersten Stockwerk gleich noch eine Überraschung. "Da stand dann einer mit dem Morgenstern und hat den Eindringlingen eins übergebraten". Kork holt dazu kraftvoll aus.

Steine, die von einer Fehde mit Hildesheim erzählen

Während er die Treppen trotz seiner 75 Jahre routiniert nach oben strebt, kommen die Gäste ins Schnaufen. Im schummrig-dunklen aber angenehm kühlen ersten Stock deutet der Türmer auf einen rotfarbenen Stein im Mauerwerk. Steine, die immer wieder mal im Gemäuer auffallen. Des Rätsels Lösung: "Diese Steine sind übriggeblieben von der Hildesheimer Stifts-Fehde 1519" - einem Konflikt zwischen dem Hochstift Hildesheim und verschiedenen welfischen Fürstentümern. Nur sieben Häuser waren dabei unversehrt geblieben, alles andere der Brandschatzung zum Opfer gefallen. Die Steine, die von der Kirche stammten und durch das Feuer eine rote Färbung angenommen hatten, wurden schließlich beim Wiederaufbau mit verbaut. Der Grund dafür ist nicht eindeutig geklärt. Ob das Material schlicht benötigt wurde oder ganz bewusst Teile der alten Kirche mit eingebaut werden sollten? Kork: "Auf jeden Fall sind sie dadurch härter geworden und eigneten sich deshalb gut dafür“.

Sechs Tonnen majestätischer Klang

Inzwischen gerät das Läutwerk ins Blickfeld der Besucher. Neben einer kleineren Ausführung ist hier eine mächtige Glocke verankert, sechs Tonnen majestätischer Klang! "Ratet mal, wie die hier reingekommen ist?" Der Türmer mustert erwartungsvoll die Runde. Durch das kleine Fenster etwa? Tatsächlich! Einschnitte in den massiven Balken und ausgebesserte Stellen im Mauerwerk der Fensterzarge zeugen davon, dass es nicht ohne größere Anstrengungen möglich gewesen sein konnte, dieses Schwergewicht an seinen heutigen Platz zu bekommen. Gut für die Glocke, denn die Vorgänger der kleinen Schwester wurden im Laufe des letzten Jahrhunderts gleich zweimal vom Turm geholt und eingeschmolzen, im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kanonenfutter verwendet - bei der großen Glocke wäre der Aufwand wohl zu groß gewesen.

Auf Augenhöhe mit den Falken und Tauben

Dann geht es weiter. An der letzten Treppe wird es wieder etwas dunkler. Kork geht als erster hoch, öffnet die Luke zur Aussichtsplattform, atmet durch und lässt die wärmenden Strahlen der steil stehenden Mittagssonne herein. "Hier festhalten", mahnt er, warnt vor der verflixten, als erneutes Handicap eingebauten 148. Stufe:  "Die ist nochmal etwas höher".  An der Empore angekommen,  eröffnet sich der Gefolgschaft ein Postkarten-Panorama, das die Mühen des Aufstiegs belohnt. In 33 Metern über der Stadt gelten nach 148 Stufen die Maßstäbe des Türmer-Alltags! Der Ärger mit dem Parkplatz – wie klein er sich doch aus dieser Vogelperspektive ausnimmt.

Der Türmer sieht mehr von Bad Münder als der Bürgermeister kraft Amtes von seinem Rathausfenster aus. Da hinten, der Kurpark. Die Süntelbuche. Die Kliniken. Und die ausgedehnten Forste. Selbst die Wasserdampfsäulen des Kernkraftwerks Grohnde sind von hier aus zu erkennen. Der Regen der vergangenen Tage hat die staubige Sommerluft reingewaschen. Im Reich des Türmers, der Schwalben, der Falken und der Tauben gibt allein der laue Sommerwind den Ton an. Die Geräusche des Alltags verbleiben dumpf wabernd unten in den Gassen. Oktogonal ist der oberste Arbeitsplatz in Bad Münder, achteckig also. Was Sinn macht: Der Türmer kann gemessenen Schrittes alle Richtungen abgehen. Er erläutert seinen Gästen aus dieser erhabenen Draufschau die Perspektiven über den ziegelroten Dächern der stolzen Stadt.

Runter geht's auch nicht einfacher

Dass seine Führungen überhaupt möglich sind, ist der 2008 erfolgten umfangreichen Instandsetzung des Kirchturms zu verdanken, bei der schwere tragende Holzelemente und massive Edelstahlstreben neu verbaut wurden und auch der Außenputz erneuert worden war. Vorher sei das schlicht nicht möglich gewesen. "Mit Gästen da hochgehen ging nicht, da gab es bis 2008 nur wacklige Leitern". Warum sich Klaus Kork so für die Stadt einsetzt und nicht seinen verdienten Ruhestand im Liegestuhl verbringt? "Ich mache das, damit die Stadt im Kern so erhalten bleibt, die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät!".

So spricht einer, der sich den Überblick bewahrt hat. Der Abstieg verlangt die volle Konzentration. Der Blick von oben herab darf nicht zum Leichtsinn verführen. "Diese erste Treppe hier müsst ihr rückwärts wieder runtergehen", gibt der Türmer einen wohlmeinenden Tipp und ein Besucher vermutet schon mal: "Runter ist wohl nicht gerade einfacher?" 148 Stufen sind es nach unten, auf den Boden der Tatsachen von Bad Münder.

(Zu den Bildern auf der Umlaufseite: Klaus Kork erläutert mit Liebe zum Detail das Panorama von Bad Münder. Darunter: Im Turmgebälk ist er zuhause, der Türmer, dem man die 75 Jahre nicht anmerkt. Ganz unten: Vorsichtsmaßregel für den sicheren Abstieg... Fotos: Frank Weber/Exklusiv: Weserbergland-Nachrichten.de)

Service-Hinweis der Redaktion: Führungen im Turm finden jeden 1. Samstag im Monat statt. Treffpunkt: 14 Uhr. Sonderführungen  nach Anmeldungen unter der Rufnummer: 05042 / 92 98 04 oder 0172 / 405 10 97.

 

 

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