Der Kommentar

Wenn der Schock zum Schutz wird - Der Wahrheit ins Gesicht schauen, das können nur wenige

Von Ralph Lorenz

Sonntag 27. Juli 2014 - Es sind schockierende Bilder. Unfallwracks mit aufgeschnittenen Dächern, weil die schwerverletzten Fahrer hinter dem Lenkrad hervorgeholt werden mussten. Auslaufende Betriebsstoffe, Blutspuren am Airbag.

Rettungssanitäter tragen in der Ferne eine schwerverletzte Person zum bereitstehenden Helikopter der Luftrettung. Der Kampf auf Leben und Tod von Notärzten, die im Sicht-Schutz von Feuerwehrleuten lebensgefährlich Verletzte transportfähig machen, ist zu erahnen. Die Weserbergland-Nachrichten.de beamen seit einiger Zeit diese authentischen Bildimpressionen zum Bildschirm in die Wohnzimmer und Büros – oder auf das Smartphone. In der Hoffnung, diese Bilder erreichen die Richtigen. Diejenigen nämlich, die noch nachdenklich werden können und bereit sind der Realität ins Auge zu schauen.



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Es sind Bilder, die sich gegen die Verherrlichung der Brutalität in Action-Filmen positionieren. Mit den vermeintlichen Superhelden, die bei inszenierten Verfolgungsjagden unverwundbar durch eine Crashlandschaft rasen und immer davon kommen und damit zum Leitbild für unkaputtbare Raser werden, die eine Landstraße zum Schluss mit einem Filmset verwechseln.

Immer wieder einmal melden sich Anrufer und zeigen sich schockiert über die schonungslose Realität, die in den Nachrichten-Videos von Unfällen in der Region wiedergegeben werden. Manche meinen, das dürfe nicht gezeigt werden. Oder: Muss das so deutlich zu sehen sein?

Auf die Gegenfrage ob die Löschung solch einer Aufnahme das Geschehen rückgängig mache, folgt dann betretenes Schweigen. Die Betroffenheit dieser Menschen ist allerdings immer noch besser als der Zustand der Verrohung, den manche Zeitgenossen angesichts solcher Bilder zeigen und denen all das gar nichts auszumachen scheint.

Auch wir in der Redaktion fragen uns regelmäßig, was ist noch wem zumutbar?

Was ist noch zumutbar?

Ist das Erschrecken auch deshalb so groß weil die neuen Medien mit ihren Filmsequenzen so zeitnah und realitätsnah "dran sind"? Der Autor dieser Zeilen kennt noch die Unfallfotos in Schwarzweiß als Momentaufnahme von einer 60stel oder 125stel Sekunde. Sie waren auch nur gelegentlich gedruckt. Meist kleinformatig presste die damalige betuliche Technik des Zeitungsmachens alles in zwei Zeitungsspalten auf einer der hinteren Lokalseiten. Oft erst drei Tage nach dem Geschehen. Und möglichst nicht so "sensationsheischend".

Die stille Schwarzweiß-Fotographie ermöglichte Distanz. Der US-amerikanische Polizei-Reporter "Weegee" (Ascher Fellig) hat in den 30igern des vorigen Jahrhunderts die Blutlache sogar noch als ästhetisches Element in seine Bild-Ikonen aus dem Grauen der Kriminalität in den New Yorker Häuserschluchten eingebaut. Er arrangierte seine Motive mit unvergleichlichem Blick und auf hintersinnige Weise, stülpte dem Geschehen damit aber auch schon subtil seine Interpretation über. Das machte selbst die Grausamkeit eines Wohnhausbrandes schon wieder auf aberwitzige Weise für das Auge "schön".

Heute wird die Nachricht unmittelbar möglichst unverfälscht von der Unfallstelle gesendet, wenn’s besonders schnell gehen soll. Nahezu in Echtzeit erfahren die Zuschauer von dem damit verbundenen Stau und erhalten das Geschehen in groben Umrissen.

Auch ich werde manche Bilder nie vergessen können

Mich als Reporter bewegt das Unfallgeschehen nach all den Jahren noch immer. Genauso wie viele Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungssanitätern und Polizei, die an vorderster Front stehen und erst Tage später das Erlebte verarbeiten können.

Die Bilder des alten Mannes, der bei Bisperode an einem der ersten Wintertage schluchzend aus der Dunkelheit auf das brennende Wrack zuwankte und mit erstickender Stimme fassungslos rief, „Mussten die immer so rasen, immer diese Raserei?“ werden mich weiterhin begleiten, genauso wie der Brandgeruch und die Ohnmacht der Helfer, die nicht mehr helfen konnten. Oder das Bild von der jungen Frau, die wie eine Wachspuppe in der aufgehenden Sonne in der Wiese lag. Unwirklich schön, scheinbar unverletzt. Aber tot neben dem Wagen. Damals galt noch keine Gurtpflicht.

Bilder wie diese kommen mir in den Sinn wenn ich die Goldkettchentypen in ihren tiefergelegten, vom Vater bezahlten aufgemotzten Kisten an den Eisdielen oder vor den Diskotheken sehe und dem Pseudopotenzgehabe beim Druck aufs Gaspedal, begleitet vom versteckten Seitenblick kichernder Mädchen, die das irgendwie als geile Anmache toll finden. Die Steigerung des Tieferlegens nach unten erlebe ich dann am Straßenrand, wenn die Karre im Graben liegt, mit abgerissenen Rädern und der schwarze Wagen vorfährt. Solche Superman-Typen hat es auch in meiner Generation gegeben. Nur hatten die vom Vater geliehenen Fahrzeuge damals gerade mal 36 PS – womit auch da schon jenseits aller Vernunft die Fahrt ins Jenseits angetreten werden konnte.

Das Löschen einer Videodokumentation macht das Geschehene nicht ungeschehen

Und nochmals die Frage: Wäre jemandem damit geholfen diese kriegsähnlichen Zustände auf unseren Straßen zu verschweigen? Die Zahl der Todesfälle von Verkehrsopfern im vergangenen Jahr hat im Weserbergland zugenommen!

Die Polizei in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen setzt in ihren Aufklärungskampagnen genau auf solche Schockbilder, wie wir sie leider fast täglich derzeit senden müssen. Vernunft-Appelle reichen nicht.

Kinder und Jugendliche neigen in ihrem Alter dazu sich als unverletzbar zu empfinden, als Ausnahmeerscheinung in den Naturgesetzen. Weil sie bislang von der Brutalität des Straßengeschehens auch mit kleineren Verletzungen verschont geblieben sind. Es ist eine naive Weltsicht, aber nachvollziehbar. Werden sie doch in der verlogenen Werbesprache zudem pausenlos als überlegene „Heros“ gefeiert – die Jugendsprache liebt den Superman-Gestus, der alle Abenteuer übersteht.

Die Besser-Wissenden haben eine Verpflichtung gegenüber der Jugend

Ihnen die brutalen Lektüren des wirklichen Lebens auf der Straße vor Augen zu halten, die Grenzen aufzuzeigen, ist die Verpflichtung der Älteren und Besser-Wissenden. Aber es ist nicht nur die Unvernunft der Raserei: Der Griff zum Handy oder Autokommunikationssystem weil unbedingt eine sinnfreie Botschaft abgesondert werden muss - derzeit sogar Bestandteil einer Autowerbung. Das ins Smartphone gedrückte SMS. Der ablenkende Blick aufs Navy. Die Unfähigkeit mancher Menschen Prioritäten zu setzen und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Und die schwer zu ermittelnden Fälle in denen das Fahrzeug als Suizid-Mittel missbraucht worden ist und andere Menschen mit in den Tod gerissen worden sind.

All das macht den Verkehr unberechenbar. Und dann noch die Vergreisung der Verkehrsteilnehmer in immer kommoderen Fahrzeugen, die den Kontakt zur Außenwelt erschweren. Rollende Wohnzimmer mit Ohrensessel und bösem Erwachen. Besteht das Risiko der Jungen im Kontrollverlust, ist es bei den Älteren der Erinnerungsverlust eines Krankheitsbildes mit Demenzerscheinungen. Die Führerscheinprüfung für Junge haben wir schon. Jetzt brauchen wir die Fahrprüfung für Alte.

Die Video-Sequenzen der Weserbergland-Nachrichten aus dem Verkehrsalltag haben noch einen anderen Effekt. Sie sind Anschauungsmaterial. Immer wieder tauchen typische Gefahrenstellen auf, die sich erst auf dem zweiten Blick offenbaren. Diese Filme sind aber auch zum ernsthaften Schulungsmaterial für den Feuerwehr-Nachwuchs geworden, wie wir in der Redaktion aus Anfragen von örtlichen Feuerwehren wissen.

Aus der Feuerwehr ist eine Unfallwehr geworden

Der Feuerwehr-Nachwuchs kann hier das komplexe Ineinandergreifen der Einsatzmaßnahmen von Feuerwehr, Sanitäter und Polizei sachlich studieren. Einzigartige Aufnahmen schildern anschaulich wie soeben gelandete Mannschaften von Rettungs-Helikoptern in einer Schnelleinweisung kurz, knapp, effizient auf das vorbereitet werden, was sie gleich an der Unfallstelle erwartet. Landesituation zeigen unter welch schwierigen Bedingungen Außenlandungen erfolgen, mit Unterstützung der Feuerwehrkräfte bis hin zur Nachtbeleuchtung des Landeplatzes für den Zielanflug. Diese Bilder geben bewusst unkommentiert die Praxis wieder. Sie dokumentieren in einer im Weserbergland bislang so nicht verfügbaren Eindringlichkeit den Wandel der Dorffeuerwehr hin zu einer mit vielen technischen Herausforderungen konfrontierten Einsatzgruppe idealistischer, meist hochmotivierter Männer und Frauen.

Die ehrenamtlichen Einsatzstunden nehmen sich bei Feuerwehr-Hauptversammlungen in den Rechenschaftsberichten spröde aus und werden auch schon mal als Stundenzählerei bespöttelt. Hier aber wird in schockierender Ehrlichkeit erzählt, was für Dramatik sich hinter diesen Zahlen verbergen kann.

Und bei jedem Einsatz wird ausnahmslos dokumentiert wie schnell unsere Dorffeuerwehren auch zu „ungünstigen“ Tageszeiten sind. Hut ab vor deren Leistung! Gerade die Feuerwehrkräfte stehen mitten im Berufsleben und eben deshalb verdient ihre im Ernstfall bewiesene zuverlässige Präsenz größten Respekt. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Hier handelt es sich um Freiwillige, nicht um Berufsfeuerwehrleute.

Unter den besonderen Bedingungen einer ländlichen Region und deren demographischer Entwicklung beweist der Landkreis Hameln-Pyrmont einen erstaunlichen Ausbildungs- und Einsatzstandard. Auch das beweisen die WBNachrichten-Videos der Weserbergland-Nachrichten ausnahmslos.

Was viele immer noch nicht verinnerlicht haben: Die Feuer-Wehr ist zur Unfall-Wehr bei steigendem Verkehrsaufkommen geworden. Das lässt erkennen, wie vielfältig die Aufgaben auch weiterhin sein werden. Parallel dazu verändert sich die Einsatzcharakteristik für das Rettungswesen und die verdienstvolle Arbeit des DRK.

Wenn diese Bilder also durch unsere Ausstrahlung verstärkt ins Bewusstsein treten, so ist schon viel gewonnen. Denn für die Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen Feuerwehr, Rettungswesen und Polizei noch stärker den Rückhalt der Bevölkerung.

Mit mir gibt es kein Verharmlosen und Verschweigen

Womit niemandem gedient ist, schon gar nicht den Opfern, ist das Verschweigen, Verharmlosen oder gar Manipulieren des Unfallgeschehens in der Darstellung. Aus falsch verstandener Gefälligkeit werden die Weserbergland-Nachrichten.de keinen Film löschen, der einen realen Einsatz zeigt mit Personen, die durch ihre Anwesenheit und Tätigkeit bei einem realen Ereignis zu „Personen der Zeitgeschichte“ werden. Die Zeiten, da Diktatoren über die Medien bestimmten, apodiktisch Bilder auf Anordnung „löschen“ ließen und in Ungnade gefallene Zeitgenossen aus Gruppenbildern mal eben entfernten, so dass ein weißer Fleck zurückgeblieben ist, sind zumindest im aufgeklärten Europa vorbei.

Gerade die unbequemen und unangenehmen Wahrheiten verdienen es geschützt zu werden. Im Interesse der Allgemeinheit. Somit hat die Presse eine klare Kontrollfunktion.

In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es gleich zu Beginn: „… Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Die Zeugenschaft der Presse als weitere Kontrollinstanz

Es sind die Lehren der Verfassungsväter aus dem Naziregime, in dem angeblich die „Frauen auf der Straße noch sicher waren“ und "das Reich" alles im Griff zu haben glaubte. Sogar das Schicksal hinter dem Unfall im Straßengeschehen. So wollte es damals die „Reichsschrifttumkammer“ als Institution zur Nachrichtenverhinderung  und Geschichtsklitterung dem Volk weismachen.

Aber auch schon in der Antike galt der Überbringer schlechter Nachrichten als der eigentliche Übeltäter.

Der Wahrheit ins Auge sehen, das können nur wenige. Und in den Fällen, in denen Tränen die Sicht versperren, ist es auch nicht mehr möglich.

 

 
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