Betrachtungen zu einer TV-Sendung, die sich quotenträchtig am menschlichen Elend abarbeitet

Von Not und Notdurft - wie Kabel1 das Leben einer Frau aus Fuhlen ins grelle Scheinwerferlicht rückt, der es buchstäblich dreckig ging

Von Ralph L o r e n z

Fuhlen/Hessisch Oldendorf (wbn). Die Filmeinstellung hat schon was. Zu Adeles schmachtenden Pop-Song „Someone like you“ und Klavierakkorden in Moll stakst die selbsternannte „Wohnexpertin“ von Kabel1 zwischen Hunde-, Katzen- und Rattenkot durch ein Haus mit 190 Quadratmetern Wohnfläche, die aber nur noch auf zwölf Quadratmeter Schlafzimmerbereich „bewohnbar“ ist.

Dort haben die Viecher nämlich noch nicht hingeschissen. Dort schläft und wohnt Sieglinde, wenn sie nicht gerade mit ihrem Freund die örtliche Lokalzeitung austrägt. Klarer Fall von Super-Messie. Messies werden jene genannt, die mit dem Alltag nicht mehr zurecht kommen, im Hausmüll zu ersticken drohen. Sie häufen willkürlich an, können sich von nichts mehr trennen, haben keinen Lebensplan und keine Prioritäten. Sie sind tatsächlich ernsthaft krank. Besagte Sieglinde ist 46 und hat das Glück – oder Pech – je nachdem wie man’s nimmt, dass Kabel 1 in ihr Leben eingreift und helfen will. Das macht Kabel 1 aber nicht selbstlos und uneigennützig, was nämlich die echten Samariter auszeichnen würde. Nein, die scheinbar uneigennützige Hilfe ist die Eintrittskarte um sich mit der Kamera an dem häuslichen Notstand dieser Frau und ihres Freundes weiden zu dürfen. Manchen Helfern sind Mitmenschen wie Sieglinde eben gnadenlos ausgeliefert.


Fortsetzung von Seite 1

In den Sendungen für das bildungsferne Unterschichten-Publikum geht „Messie“-Notstand immer. Gerne wollen die  Arbeitsunwilligen und Alkis, die nachmittags ihre Zeit vor dem Fernsehapparat vertrödeln, entspannt zurückgelehnt aus der Couch-Perspektive auf andere herabschauen und sehen, dass es anderen Zeit- und Leidensgenossen im buchstäblichen Sinne noch „dreckiger“ geht.

Das bringt TV-Quoten. Etwa wenn die Kameraeinstellung andächtig in der Kloschüssel verharrt und immer wieder eine besorgte Hintergrund-Sprecherstimme im an Banalität nicht mehr zu übertreffenden Pseudo-Dokumentarton beteuert, was man ohnehin schon sieht – dass es eben dreckig ist in diesem Haus. Da rümpft die Kabel1- Wohnexpertin gern auch die Nase. Die arme Sieglinde, derart bundesweit als eine Art Super-Schlampe bloßgestellt, als Anti-Star also, verschwindet mit gesenktem Haupt hinter der Tür. Die Frau ist, man muss es nochmals betonen, als Messie krank. Haben Kranke kein Schutzbedürfnis?

Igitt. Was ist da ekelhafter. Der abgrundtiefe Blick in eine verkotete Kloschüssel oder das quotengeile Storyboard der TV-Leute? Und damit das Trash-Gaffer-Publikum zuhause vor dem Fernsehschirm sich auch in seiner Überlegenheit bestätigt sehen kann, sagt der Sprecher mit Grabesstimme: „Jetzt schämt sie sich“.  Vielleicht wäre da auch ein Pfeil nicht schlecht gewesen, der immer wieder aufblinkt und auf Sieglinde hinter der Tür zeigt, die aus Scham dem Bildwinkel der Kamera entweicht.  Oder besser noch, man hätte sie im Scheinwerfer-Licht „gestellt“. Denn das ist der Preis, den Sieglinde für diese sogenannte professionelle Hilfe der sich unbarmherzig gebenden Samariter bezahlen muss: Sich bundesweit in ihrem Elend in dieser erbarmungslosen Medienarena schutzlos zur Schau stellen zu müssen.

Eine erbarmungslose Peep-Show für Sozialvoyeure

Peep-Show für Sozialvoyeure. Die Öffentlichkeit darf live teilhaben an den tieferen Einsichten dieser Sieglinde, die sich mit einem Mal selbst über die vielen Ratten im Haus wundert. Jetzt, da das Fernsehen da ist und mit den Scheinwerfern in die hintersten Winkel leuchtet, in der Hoffnung die Hackfresse einer grinsenden Ratte aus Fuhlen zu sehen. Doch die Viecher sind öffentlichkeitsscheu, was für deren Intelligenz spricht. Sie wollen nicht ins Fernsehen. Haben Ratten mehr Würde als Menschen?

Bei Kabel 1 würden sie allenfalls am Kabel knabbern. „Ich habe gedacht, wo Katzen sind, sind keine Ratten“, philosophiert Sieglinde. Doch auch Ratten steigen gern über den Kot, wenn er zum Katzenfutter führt, das in den Räumen verstreut ist. Die Sätze der Einsicht aus dem Munde von Sieglinde wirken wie einstudiert. Nacheinander dürfen die Fachleute ins Haus: Der Tierarzt, der Kammerjäger und das Entrümpelungskommando. Alle sind gekommen, weil das TV es so wollte. Sieglinde betrachtet alles, was in diesem Haus vier Beine hat (Ratten ausgenommen), als ihre „Kinder“. Weil ihre eigentlichen Kinder dem Unrat nachvollziehbar entflohen sind.

Der Tierarzt bringt ihr TV-gerecht einfühlsam bei, dass diese lieben vierpfötigen Kinderchen von Milben und allerlei anderem Viehzeug befallen sind und die Parasiten auch die Gesundheit der menschlichen Bewohner gefährden. Und plötzlich fällt es dieser Sieglinde wie Schuppen von den Augen – den lieben „Kinderchen“ geht’s wirklich nicht gut. Und ihr selbst auch nicht: Sie hat Atembescherden. Mit gefühliger Hintergrundmusik werden die Opfer aus der tierischen Wohngemeinschaft ins Tierheim gebracht.

Adagio für die gequälte Tierseele. Und eine sichtbar leidende Sieglinde. Der Hund darf vor laufender Kamera in der Wohnung schnell noch mal auf den Boden kacken. Auch das bringt Quote.  Die Kamera fängt Köttel in jeglicher Konsistenz ein. Vertrocknet, mit Pilzüberzug – noch frisch. Da freut sich der Kammerjäger. Er jagt nicht die Kammer, aber die Kakerlaken, Käfer und Fliegen. Das ganze Geschmeiß auf Fliesen und Balken. Ein starker Auftritt. Die Ratten haben allen Grund sich um die folgenden Generationen zu sorgen.

Die Entrümpler sind hart im Nehmen – und im Schutzanzug. In dieser Scheiß-Sendung – die Bezeichnung ist angesichts des hohen Fäkalanteils in der Bilderabfolge nicht unangemessen - bahnen sie sich den Weg durch den Kot und werfen alles aus dem Fenster in einen Container. Wenn die Helfer kommen, laufen natürlich die Muntermach-Songs von Abba. Da kommt Stimmung auf.

Wo war die Nachbarschaft? Wo die Behörden?

Ziemlich gegen Ende dieser vorösterlichen Großreinemachattacke in dem total versauten Gehöft zu Fuhlen bei Hessisch Oldendorf  taucht dann eine Seelsorgerin auf mit einer Jungmädchen-Putzkolonne.  Jetzt, wo der Dreck eigentlich schon weg ist. Wo, so muss man sich fragen, waren die eigentlich in den vergangenen Jahren? Musste erst das Fernsehen auftauchen damit das Besenballett als Nachbarschaftshilfe in christlicher Nächstenliebe effektvoll in Aktion tritt? Und wenn wir schon beim Fragen sind: Wie konnte diese extreme Verwahrlosung dem Gesundheitsamt und der Veterinäraufsicht über all die Jahre hinweg verborgen bleiben?

Ein Horror-Haus im "Dorf mit Zukunft"

Die makabre Pointe kommt zum Schluß. All das Elend dieser kleinen Zeitungszusteller-Existenz hat sich in Fuhlen zugetragen. Man erinnert sich: Fuhlen ist im vergangenen Jahr im Dorfwettbewerb im Weserbergland mit dem 1. Platz ausgezeichnet worden. Als das „Dorf mit Zukunft“. Es hat tatsächlich auch dieses Etikett verdient. Nicht zuletzt wurde der dörfliche Zusammenhalt gelobt. Doch Sieglinde muss dabei irgendwie übersehen worden sein. Dort wo jeder jeden kennt. Oder kennen müsste, bei nur 300 Einwohnern. Da musste erst diese „Wohnexpertin“ von Kabel1 kommen – weil alle anderen auf dem Kabel standen. So gesehen kann Sieglinde den Fernsehleuten tatsächlich auch noch dankbar sein. Sie wäre inmitten des schönsten Dorfes im Weserbergland bei lebendigem Leib vermodert.

Bei knisterndem Kaminfeuer und gefühlsduseliger Atmosphäre, viel Schulterklopfen und Umarmungen mit Schneuzalarm waren sich zum Schluß Sieglinde und Kabel1 einig, dass es nie wieder soweit kommen sollte. Jetzt hat nicht nur Fuhlen als Dorf eine Zukunft. Auch die Dorfbewohnerin Sieglinde. Und natürlich durften auch die Vierbeiner wieder zurück ins nunmehr cleane Haus – dummerweise haben die lieben Tierchen im Tierheim aber nicht gelernt draußen zu kacken. Das happy end stinkt so gesehen irgendwie zum Himmel, der Rückfall ist programmiert. Die ganze Sendung, sie scheint nicht stubenrein zu sein.                                   

Anmerkung der Redaktion: Unter kabeleins.de kann die Messie-Sendung über das „Horror-Haus“ von Fuhlen nachträglich noch im Internet aufgerufen werden.

 

 
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