Der Kommentar

Der Wahlkampf um die Wahl der Worte - 600 haben Rüdiger Butte richtig verstanden. Nur einer nicht

Von Ralph Lorenz

Jawohl, Landratskandidat Dr. Stephan Walter hat als Historiker Recht. Das Wort „Ortsbauernführer“  stammt in dieser Zusammensetzung aus dem Nazi-Sprachvokabular und der damaligen Gleichschaltung der Landwirtschaft im Zuge einer kruden Blut- und Bodenmythologie, die gerade am Bückeberg im Weserbergland ihre bizarren Nazi-Feldgottesdienste im Rahmen ihrer Reichserntedankfeste zelebriert hat. Aus dieser Sicht ist es ein Unwort.

Es sind viele Bilder der damals jubelnden Landbevölkerung bei  den inszenierten Ortsdurchfahrten des auf der B 1 zum Reichserntedankfest anreisenden „Führers“ als Zeitdokumente erhalten. Der NS-Ortsbauernführer war gewiss auch der Denunziant, der menschliche Schweinehund, der unliebsame Mitbürger ans Messer lieferte und das System getragen hat, das Zwangsarbeiter zur Sklavenarbeit auf den Feldern und den Stollen unterirdischer Rüstungsbetriebe  anpeitschte und in den Tod trieb. Es gab aber eben auch andere. Und vor allem die halbherzigen Mitläufer. Insofern ist es sogar gut, dass Walter als Historiker diesen längst in der kollektiven Erinnerung verblassten Sachverhalt wieder mal angesprochen hat. Und viele, denen die „Gnade der späten Geburt“ widerfahren ist, um es mit Kohls Worten vor der Knesset  zu sagen, kennen das Unwort einfach nicht und ihre Kindeskinder schon gar nicht mehr.

Es geht um den "Ortsbauernführer von Hemeringen"

Doch wer hat da eigentlich beanstandet? Der Historiker Walter oder Walter, der Wahlkämpfer? Walter hatte sich zu Beginn eines Wahlkampftermines mit Staatssekretär Ferlemann zu Wort gemeldet, der als Pressekonferenz angekündigt worden ist und der über weite Teile wiederum zur Plattform für die Güterzugstrecken-Kritiker der BI Transit umgemünzt worden war – zum Schluss durfte dann auch die Presse ein paar Fragen stellen. Im Vorwort dazu also hatte Walter, wie auch schon berichtet, im Beisein des stumm neben ihm sitzenden Otto Deppmeyer die Wortwahl des Wahlkämpfers Rüdiger Butte gerügt.  Butte habe Deppmeyer als „Ortsbauernführer aus Hemeringen“ bezeichnet – und, so rügte Dr. Walter: "Ortsbauernführer, das ist aus dem Dritten Reich“. Sodann forderte Walter von dem amtierenden Landrat und SPD-Wahlkämpfer Rüdiger Butte öffentlich eine Entschuldigung. Auf die wartet Walter bis heute. Ob Deppmeyer auch darauf wartet, ist unklar, denn er hat bislang sphinxhaft geschwiegen.  Butte wiederum sieht weiterhin keinen Grund sich zu entschuldigen.


 

Walter fragt: Wie spricht man einen Binde-Strich?

Fortsetzung von Seite 1

Jeder Zuhörer bei der Wahlkampfveranstaltung in der Coppenbrügger Burg habe es schließlich gewusst, wie es gemeint gewesen sei. Natürlich mit Bindestrich. Also Orts-Bauernführer. Und gegen das Wort Bauernführer könne niemand etwas sagen, weil die schon aus der Reformationszeit bekannt seien. In ihrem aufmüpfigen Kampf gegen Obrigkeit und für die Rechte der Unterprivilegierten. Spätestens hier wird das Ganze dann zur Bauernkomödie. Loriot, seligen Angedenkens, lässt grüßen.  Dr. Walter, der auch gelernter Ghostwriter ist  und die Sprache als Florett zu handhaben weiß, fragt wiederum: Wie spricht man einen Bindestrich? Dem dürfte Butte wieder entgegenhalten können: Wie hört man, dass kein Bindestrich gesprochen worden ist? Aber Butte äußert sich nicht mehr zu diesem Sommertheater. Aus seiner Sicht ist alles gesagt.

Die Sprache der Nazis hat den Wortschatz vergiftet

Dabei könnte man es auch bewenden lassen, wenn die Sache nicht ans Grundsätzliche rühren würde. Die Sprache der Nazis hat vieles zum Unwort werden lassen, was gar nicht auf ihrem Mist gewachsen ist. Schon das Wort Deutsch war vielen Deutschen nach dem Krieg nicht so geheuer.  Weil „deutsche Wertarbeit“ zu Deutsch klang, wurde – eher als Brandmarkung durch die Alliierten gedacht – die Trademark „Made in Germany“  geboren. Dummerweise war das dann ein Exportschlager erster Güte, von dem wir heute noch zehren. Gau war auch so ein Wort. Dem ADAC Gau Weser Ems gehören 640.000 Mitglieder an – machen die alle im Rommel-Kübelwagen mit einem Deutschen Schäferhund auf dem Beifahrersitz und Staubmantel die deutschen Lande unsicher? Schützenbünde und Turngaue können auch gleich in verbale Sippenhaft genommen werden.

Warum ist Ortsbauernführer bedenklich, Führer aber nicht?

Will Wahlkämpfer Dr. Walter all denen eine Abmahnung schicken?  Die NSDAP war in Gaue aufgegliedert. Und der Gauleiter ist wiederum ein besonders schlimmer Bursche in der NS-Hierarchie gewesen. Weit schlimmer als der Ortsbauernführer. Aber der schlimmste war der „Führer“, gesteigert durch „Größter Führer aller Zeiten“ – nicht nur Kabarettisten verkürzten das ins fatzkenhafte  „GröFaz“.  Das Wort Führer  wäre damit für alle Zeiten irreparabel  beschädigt. Und die Standardfrage bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle: „Darf ich mal Ihren Führerschein sehen?“ müsste umgehend zu einer Leugnung zum Zwecke des Selbstschutzes führen – zumal auf der B 1 zwischen Coppenbrügge und Afferde. „Ich habe keinen Führer-Schein, ich habe ihn auch nie gewollt“ wäre die einzig politisch korrekte Antwort im Zuge der weltweit verbreiteten „political correctness“. Andernfalls würden wir in das Fadenkreuz des Verfassungsschutzes geraten. Vorsicht, wenn Ihnen unauffällig ein Herbie folgt!  Es ist höchst aufschlussreich die Worte Ortsbauernführer und Führer jeweils im Internet unter dem dynamischen Nachschlagsammelsurium Wikipedia aufzurufen. Ortsbauernführer ist demzufolge  für alle Zeiten stigmatisiert, aber ausgerechnet und hackenschlagend  d‘r Führer nicht? Das ist, mein Gott Walter, der Super-Gau der deutschen Sprache.  Jetzt kommen wir zu der eigentlichen  Frage im Wahlkampf der Wortwahl. Wie hat es das Publikum verstanden, als Butte in die Bütt stieg?

Hannovers Oberbürgermeister Weil stand neben dem Redner Butte

Gut 600 Bürger waren in der Roten Nacht anwesend als Rüdiger Butte von dem „Ortsbauernführer aus Hemeringen“ sprach. Gemeint war der Ortsbauernführer von Butte und nicht der Ortsbauernführer des Historikers und Wahlkämpfers Dr. Walter. 600 Bürger haben es vor Ort so verstanden, wie es Butte gemeint hatte. Sonst wäre ein vernehmbares Raunen durch die Menschenmenge im Burginnenhof gegangen. Denn gerade Sozialdemokraten im Weserbergland sind in Sachen NS-Vokabular besonders sensibel.

In der NS-Zeit sind in dem Hamelner Gefängnis aufgrund von Denunziationen auch viele Sozialdemokraten wegen ihrer unbeugsamen Meinung eingesessen und ins Verderben geschickt worden. Auch Weil, der auf der Burgbühne neben Butte stehende Oberbürgermeister von Hannover, hat das Wort vom Ortsbauernführer aus Hemeringen mit einem Schmunzeln aufgenommen und damit erkennbar so verstanden, wie es der Sozial-Demokrat Butte verstanden wissen wollte. Das sind nun mal  Fakten, die für Butte und dessen improvisierten Sprachgebrauch sprechen. Wenn Walter das ignoriert, macht er sich selbst verdächtig. Er setzt sich dem Verdacht aus seinen Kontrahenten Butte aus Wahlkampfgründen missverstehen zu wollen.

Die DeWeZet fand es nicht einmal des Schreibens wert

Die Reporterin der DeWeZet sah das offenbar ebenso entspannt, so dass sie den inkriminierten Satz nicht einmal in ihre Berichterstattung einfließen ließ. Anders gesagt, sie hielt ihn nicht der Rede wert. Auch das spricht für Buttes Wortwahl und Kontext. Einzig die Weserbergland-Nachrichten.de haben mit ihrem Wortzitat Dr. Walter das entscheidende Stichwort für seine Attacke gegen Butte geliefert, ohne aber auf irgendeine Angreifbarkeit hinzuweisen. Es war einfach Chronistenpflicht. Die Passage kann in der Montagsberichterstattung jederzeit nachgelesen werden.  Man muss annehmen, dass Butte den "Orts"-Bauernführer meinte, der  als örtlicher Landwirt nunmal in die Belange der lokalen Landwirtschaft eingebunden (und mit vielen ehrenvollen Aufgaben überhäuft)  ist und alle paar Jahre in dem Spektakulum der Schlacht von Hemeringen seine kostümierten Bauern hoch zu Ross ins Feld führt. Hätte Butte ihn aber wahrheitsgemäß als Räuberhauptmann tituliert, hätte er wohl eher ein vernehmbares Raunen ausgelöst.

Der Ton macht die Musik: Entscheidend ist, wie das Publikum es versteht

Butte hat frei gesprochen und fühlte sich von der Öffentlichkeit  richtig verstanden.  Deppmeyer und Butte schätzen sich bekanntermaßen als aufrechte Demokraten. Ex-LKA-Chef Butte, von Walter als „gelernter Polizist“ bezeichnet, wäre der erste, der sich im Falle eines Missverständnisses umgehend korrigieren würde. Eben weil er "Polizist gelernt hat". Allein das ist entscheidend. Im Medienrecht herrscht die Meinung vor,  dass die Sichtweise der Verbraucherkreise entscheidend ist. Und nicht die isolierte Betrachtung eines angegriffenen Wortes.

Vorbei die Zeiten, da in den hinteren Reihen einer mit Schlapphut und Regenmantel stand und verstohlen Notizen machte.

 
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