Der Kommentar zum Tod einer 125-Jährigen

Endgültig die Leine gekappt - das traurige Ende der Deister-Leine-Zeitung

Von Ralph Lorenz

Der Deister-Leine-Zeitung in Barsinghausen ging es 125 Jahre leidlich gut. Irgendwann kam sie dann unter die Ägide der „Deister- und Weserzeitung“ in Hameln, die Hauptgesellschafterin wurde. Und jetzt, genauer gesagt seit gestern, ging’s gar nicht mehr. Der Deister-Leine-Zeitung wurde die Leine gekappt. Das Traditions-Blatt wurde eingestellt.

Die Auflage der kleinen, aber geschichtsträchtigen Lokalzeitung hatte sich auf 4.500 halbiert. Die Antwort, mit der Julia Niemeyer als DWZ-Geschäftsführerin zitiert wird, klingt im Kern einfach und logisch. Sinkende Auflage, weniger Anzeigen, Konkurrenzdruck. War also die Schließung unausweichlich? Nein. Der Medienforscher Horst Röper hat die Einstellung des Blattes einen „seltenen Schritt“ genannt. Ein kompletter Marktausstieg sei „höchst ungewöhnlich“. Der Mann kann immerhin auf 32 Zeitungen mit vergleichbarer Auflagenhöhe, beziehungsweise mit noch weniger verweisen, die durchaus weiterhin lebensfähig sind. Und in der Schweiz ist eben erst das Erfolgskonzept der modernen „Mikrozeitung“ als crossmedia-Konzept propagiert worden. Der Grund dürfte woanders liegen.

 

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Das Blatt mit seinen gut 15 Mitarbeitern hat sicherlich zu wenig Gewinn abgeworfen und dazu noch Leser verloren – aber weshalb? Der Niemeyer-Hinweis auf die „Konkurrenz“ ist da grundsätzlich nicht falsch. Doch Vorsicht: Das sind aber genau die Blätter des Madsack-Konzerns, mit dem die DWZ selbst mehr verwoben und verflochten ist als das viele Leser nach außen ahnen. Und genau hier ist der Haken. Die Zeitungstitel unter diesem Dach haben verschiedene Namen und suggerieren Vielfalt, doch ein Blick auf die jeweilige Titelseite führt zur Ernüchterung. Es ist kein Zufall, dass sich überall der gleiche „Aufmacher“ wiederfindet mit den selben Schlagzeilen und Kommentaren. Dieser Zeitungsbrei ergießt sich großflächig über Niedersachsen und den Norden. Eine ungute Medienmacht, mit der Verödung der Zeitungslandschaft einhergehend.

Die kleine Deister-Leine-Zeitung war da mitgefangen, mitgehangen, hatte also gar nicht die Chance sich schon auf der Titelseite abzuheben und zu profilieren. Das hätte aber durchaus geschehen können, wenn sie einer journalistischen Intensivbeatmung mit Mut zur Eigenständigkeit und eigener Aufmachung unterzogen worden wäre. Das hätte aber vor allem des Rückhaltes durch einen engagierten und weitsichtigen Verleger bedurft. Das eigentliche Kerngeschäft des Lokaljournalismus, nämlich die Schilderung der lokalen Welt bis in die kleinste Verästelung, ist - nicht nur in Niedersachsen - kurzsichtigen „Sparmaßnahmen“ unterworfen worden, was dann auch noch voller Hohn als Qualitätsjournalismus verkauft worden ist.

Die vielbelächelte Vereinsberichterstattung war die Königsdisziplin des Lokaljournalisten

Man hat sich ausgerechnet die Königsdisziplin des Lokaljournalisten „gespart“: Die aktuelle Berichterstattung über Vereinsversammlungen. Lokalredakteure als Gast bei Jahreshauptversammlungen haben heute Seltenheitswert. Man lässt in vielen Fällen vielmehr Schriftführer oder andere Vereinsmitglieder Beiträge verfassen, die dann mehr oder weniger redigiert unter Seiten wie „Wir von hier“ in der Lokalzeitung veröffentlicht werden. Das heißt: Die Vereine schreiben über sich selbst. Zum Verständnis: Das wäre so, als dürfte die Bundesregierung in den Zeitungen über sich selbst berichten.

Merkel über Merkel. Rösler über Rösler. Etwa in: „Wir von Berlin“. Das spart dann unendlich Honorar.

Die Leser sind nicht dumm. Sie haben das längst gemerkt. Sie wissen doch, dass ein Vereinsschriftführer einen Teufel tun wird und den eigenen Verein auch noch in die Pfanne haut. Also ergießt sich in den Gazetten eine Friede-, Freude-, Eierkuchen- Botschaft über die geneigte Leserschaft. Gleichzeitig schwinden die Abos und die Vereinsmitgliedschaften.

Vorbei, die Zeiten, da eine Jahreshauptversammlung am Samstag Abend über die Bühne ging und am Montag Morgen zusammen mit dem Lokalsport zum Seitenaufmacher wurde. Gerade, diejenigen, die dabei waren, konnten es kaum erwarten nachzulesen, inwieweit die Richtungskämpfe über verschiedene Ansichten in der Vereinsführung sich in der Lokalgazette niedergeschlagen hatten.

Die Montagausgabe war das Highlight nach dem Wochenende

Gerade deshalb war die Montagausgabe mit die am stärksten gelesene Zeitung im Wochenverlauf. Wo sich früher der bewegte Verlauf eines Wochenendes wiederspiegelte, nämlich in der Zeitung am Montag, findet heute austauschbare Konfektion statt, die sich schon dadurch verrät, dass sie beliebig vorproduziert worden ist. Gerne wird am Montag eine „Wissenschaftsseite“ gebracht, mit Inhalten, die schon seit Tagen bekannt sind – was die Leser als Primärnachricht wirklich wissen wollen und zwar gleich zum Wochenbeginn - steht dann nicht drin.

Es wäre eine spannende Frage gewesen, wie die Deister-Leine-Zeitung mit einem zwar kleinen, aber beherzten und eigenständigen Verleger ausgesehen hätte – und durchaus mit der selben Mannschaft. Denn an dieser kann es nicht wirklich gelegen haben. Sie hätte sicher einen ideenreichen Lokaljournalismus abgeliefert, wenn man sie denn gelassen und nicht ein leserfernes Konzept übergestülpt hätte. Die angestellten Mitarbeiter konnten sich nicht wehren gegen den verlegerischen Einheitsbrei, zumal jetzt landauf landab die Gehälter gedrückt werden und sich die Arbeitsbedingungen dramatisch verschlechtern.

Die Leser haben sich verweigert - und sie werden es weiterhin tun

Aber es waren die nicht dummen Leser, die sich statt der Redakteure gewehrt haben. Mit der Macht der Verweigerung. Sie habe auf ihre Weise die Konsequenz aus der Alternativlosigkeit des Zeitungsangebotes in Barsinghausen gezogen und das Abo aufgekündigt.

Vor einiger Zeit war ein hübsches Bild zu sehen. Da haben Kinder sich schicke Kleider aus ihrer Tageszeitung gebastelt. Die Akteure von der Zeitung waren mächtig stolz auf diesen PR-Einfall. Vielleicht haben die Kinder, die auf diese Weise als Leser von Morgen herangeführt werden sollten, nur nicht gewusst, dass man die Lokalzeitung auch lesen kann und sogar was Neues erfährt.

Das gedruckte Wort auf Zeitungspapier wird es auch morgen geben. Derzeit sitzen aber die ärgsten Feinde dieses Mediums nicht im Internet, wie gerne behauptet wird, sondern im Controlling der Verlage. Es sind die vermeintlichen Gewinnoptimierer. Zum Schluß gibt es aber nur noch Verlierer. Wie in Barsinghausen.

 

 
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