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Zur Eröffnung der Weltsynode

Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer: „Wir brauchen ein neues Denken, echte Partizipation..."

Montag 25. Oktober 2021 - Hildesheim / Vatikan (wbn). Papst Franziskus hat am Wochenende zur Eröffnung der Weltsynode in einer Messe im Petersdom deutlich gemacht, dass die Weltsynode die Chance bietet, die Kirche zu einem „offenen Ort zu machen, wo sich alle zu Hause fühlen“.

Darüber soll in den Pfarreien und Bistümern der ganzen Welt gesprochen und debattiert werden. Die Ergebnisse sollen einfließen als Gesprächsgrundlage für die Weltbischofssynode im Herbst 2023. Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ in Hildesheim hat, ebenfalls am Wochenende, gewissermaßen den Ball aufgegriffen. „Wir brauchen ein neues Denken, echte Partizipation. Wir brauchen einen neuen Blick auf die Sexualität und ein neues Nachdenken über das Dienstamt des Priesters“, gab er in seiner Predigt in Hildesheim zu bedenken.

(Zum Bild: Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ - Foto: Bistum Hildesheim)

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Und ja, auch das gehört aus seiner Sicht dazu: „…Und wir wissen alle, wie dringend nötig die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und seiner systemischen Voraussetzungen ist.“ Die Katholische Kirche brauche „keine Reförmchen, sondern eine echte Umkehrung“. Und dabei weiß er sich offenbar mit dem Papst im Einklang: „Er will die Kirche auf den Kopf stellen. Das alte Bild von der Pyramide kehrt sich um.“ Es ist eine starke Predigt, die der Hildesheimer Bischof am Samstag gehalten hat. Deshalb veröffentlichen die Weserbergland-Nachrichten.de den Text im Wortlaut:

„Predigt zur Eröffnung der Weltsynode im Bistum Hildesheim

23. Oktober 2021

Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ

Mk 10, 46-52 – Der blinde Bartimäus

 

Das hat uns gerade noch gefehlt. Eine Synode!

Sind wir in Deutschland nicht schon mitten drin? Haben wir uns nicht schon auf einen synodalen Weg gemacht?

Ja, denn unsere Kirche braucht keine Reförmchen, sondern eine echte Umkehrung.

 

Wir brauchen ein neues Denken, echte Partizipation. Wir brauchen einen neuen Blick auf die Sexualität und ein neues Nachdenken über das Dienstamt des Priesters. Wir brauchen einen neuen Blick auf die geschlechtergerechte Teilhabe aller in der Kirche, Männer wie Frauen.

 

Und wir wissen alle, wie dringend nötig die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und seiner systemischen Voraussetzungen ist.

 

Warum also jetzt noch eine Synode? Was will der Papst? Ist es nicht eine Doppelung, überflüssige Arbeit? Hat uns das gerade noch gefehlt? Hat gerade uns das vielleicht noch gefehlt?

 

Ich möchte mit Ihnen genau hinhören: Auf das Wort Gottes und auf die Worte des Papstes. Was steckt hinter dem ungewöhnlichen Anliegen, alle Diözesen dieser Welt anzuschreiben, Irritationen auszulösen und manch einen zu bedrängen.

 

Warum ist dem Papst Synodalität so wichtig, warum eine Synode?

 

Und was bedeutet das für uns? Müssen wir vielleicht auch noch einmal weiterdenken als bisher? Meint er auch uns? Ich glaube ja.

 

Ich entdecke in diesem Nachdenken mindestens drei Überraschungen:

 

Überraschung Nr. 1:

Es geht dem Papst in erster Linie nicht um ein spezifisches Thema – es geht ihm um mehr. Er will die Kirche auf den Kopf stellen. Das alte Bild von der Pyramide kehrt sich um.

 

Nicht oben und unten in der gewohnten klerikalen Manier mit all den Konsequenzen, die wir gerade traumatisiert aufarbeiten.

Sondern was?

 

Papst Franziskus sagte schon 2015: „Die Kirche ist nichts anderes als das „gemeinsame Vorangehen“ der Herde Gottes auf den Pfaden der Geschichte zur Begegnung mit Christus, dem Herrn –, dann begreifen wir auch, dass in ihrem Innern niemand über die anderen „erhöht“ werden kann. Im Gegenteil, in der Kirche ist es notwendig, dass jemand sich „erniedrigt“, um sich unterwegs in den Dienst der Brüder und Schwestern zu stellen.“

 

Es geht um einen gemeinsamen Weg: eine Art des Kircheseins, die das gewohnte und leider auch in unserem Bistum erlebbare Gefüge verlässt.

Nicht mehr Oben und Unten, Macht und Ohnmacht, Haupt- und Ehrenamt, Profis und Laien. Es geht um eine andere Kirche.

 

Es geht um die Kirche, die sich die meisten von uns wünschen und die uns im Gefüge des Alltags manchmal verloren geht, in unseren Strukturen, Sitzungen, Abstimmungen, in unseren Machtkämpfen.

 

Denn: Sind wir wirklich auf einem gemeinsamen Weg, wir alle zusammen? Das ist dann Frage Nummer eins. Zur Eröffnung der Synode vor zwei Wochen war dies die Frage des Papstes: „Verkörpern wir, die christliche Gemeinschaft, den Stil Gottes, der durch die Geschichte hindurchgeht und die Ereignisse der Menschheit teilt? Sind wir bereit, uns auf das Abenteuer des Weges einzulassen, oder flüchten wir uns aus Angst vor dem Unbekannten lieber in die Ausreden „das ist nicht nötig“ oder „das hat man schon immer so gemacht“?“

 

Der Grundgedanke der Synodalität ist ein spirituelles Abenteuer, ein spirituelles Blind date mitten in der Geschichte. Eine Entsicherung.

 

Das ist mir sehr nah. Wenn wir im nächsten Jahr ein Godehardjahr feiern, wenn wir pilgern, wenn wir uns auf den Weg in die Zukunft machen, dann ist das ein solches Abenteuer. Und das ist dringend.

 

Dringend ist eine Revolution, eine Umkehr unserer kirchlichen Selbstverständlichkeiten – aber nicht weil wir am Ende sind, weil unsere Kirche zerbricht – sondern weil wir den Ursprung wieder finden können, endlich dem Evangelium etwas zutrauen in unserer Zeit. Das ist mein Traum. Mein Traum ist eine Kirche, sind Christen, die sich auf den Weg machen. Mit Energie, mit dem Evangelium, gemeinsam.

 

Überraschung Nr 2.:

Für den Papst ist dieses hartnäckige Setzen auf Synode keine kirchliche Nabelschau. Es geht ihm um die Welt. Es geht also um alles. Wie können wir Christen heute das Evangelium mitten in der Welt, die zu lieben wir berufen sind, bezeugen und entdecken, was Gott will?

 

Die Frage schlechthin ist doch: Ist die Freude und Hoffnung der Menschen unsere Freude und Hoffnung? Ist das Leid der Flüchtlinge unseres? Ist die Trauer um ein sterbendes Kind unsere Trauer? Sind die verwundeten Füße einer Wohnsitzlosen unsere?

 

Mit anderen Worten: Begegnen wir dem Nächsten wirklich und gehen wir mit ihm oder ihr? Das nämlich ist unsere Berufung! Die Zeichen der Zeit zu entdecken und sie im Licht des Evangeliums zu deuten – das klingt super, aber es geht nur, wenn wir wirklich mit dem konkreten Menschen unterwegs sind, radikal, offen und ehrlich.

 

Im Zweiten Vatikanischen Konzil lesen wir:

Unsere Welt ist geistvoll, gottvoll, voll seiner Liebe. Und wir haben den Auftrag, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen von uns und unseren Zeitgenossen zu entdecken, was Gott möchte und wie er heute da ist.

 

Auch hier: Synodalität. Es geht um alles... um unseren Weg als Gemeinschaft und um den Weg der Welt. Und nicht von unserer Vergangenheit erschließt sich der Weg der Zukunft – sondern sie kommt auf uns zu. Wir sind ausgerüstet mit der heiligen Geistkraft, diesen Weg zu entdecken.

 

Überraschung! Die dritte:

Eigentlich überraschend ist es nicht – aber klar ist auch, dass diese Synode keinen Abstimmungsmarathon meint, sondern eine Dynamik freisetzen will.

 

Diese Dynamik erschließt sich sofort, wenn wir auf das Evangelium von heute schauen – die Geschichte des blinden Bartimäus. Auch hier ein gemeinsamer Weg.

 

Dieses „gemeinsam Gehen“ beginnt mit einer echten Begegnung. Der Blinde ruft hinter Jesus her – und Jesus reagiert, obwohl seine Jünger das gar nicht so recht verstehen.

Und dann kommt es zu einer echten Begegnung. Ein tiefer Moment, in dem die Spannung greifbar ist. Und eine Frage: Was willst du, dass ich dir tue? Die entscheidende Frage. Und atemlos hören wir: Ich will wieder sehen.

 

So geschieht Begegnung, echte Begegnung, Kunst der Begegnung. Mit dem ehrlichen Fragen: Was brauchst Du, was willst Du? In dieser Begegnung steckt eben noch mehr: es geht ums tiefe Zuhören. Echtes Zuhören ist die zweite Kunst. Überhaupt nicht einfach.

 

Wie oft haben wir keine Zeit dazu. Wie oft haben wir schon eine Antwort parat. Wir wissen schon die Lösung. Aber ein echtes Zuhören weiß das nicht. Es lässt alles los, damit neue Wege und Lösungen entstehen können.

 

Also muss jeder und jede auch etwas loslassen: auch seine eigenen Überzeugungen, damit wir dann gemeinsam etwas entdecken können, was wirklich neu ist. Überraschende Wege und Lösungen. In der Begegnung, im Zuhören und im Hinhören, was der Geist uns sagen will, liegt die Kultur der Synodalität, des gemeinsamen Unterwegsseins.

 

Damit wird sehr deutlich, worum es wesentlich geht: es geht gerade auch in all diesen Übungen um die Begegnung mit Gott. Lösungen, die den Rahmen sprengen, die die alten Gleise verlassen, die wirklich neu sind – die kommen nicht von uns selbst.

 

Sie sind Entdeckungen, bei denen wir unterscheiden lernen, wie der Geist heute weht. Er bestätigt nicht die einen und macht die anderen zu Dummen. Sondern er geht dort auf, wo wir in dieser Dynamik des Begegnens, Zuhörens und Unterscheidens unserem Gott selbst begegnen, auf ihn hören und seine Wege entdecken, die er heute mit uns gehen will.

 

Der Papst hat es seinen Pfarreien in Rom vor kurzem deutlich gesagt: „Der Heilige Geist kennt in seiner Freiheit keine Grenzen und lässt sich auch nicht durch Zugehörigkeit einschränken. Wenn die Gemeinde das Zuhause aller Menschen in der Umgebung ist und kein exklusiver Club, dann bitte ich, Türen und Fenster offen zu lassen und sich nicht darauf zu beschränken, nur diejenigen zu berücksichtigen, die am Gemeindeleben Anteil nehmen oder genau so denken wie ihr - das werden 3, 4 oder 5% sein, nicht mehr. Lasst alle herein … Lasst euch auf sie ein, lasst euch von ihnen befragen, lasst ihre Fragen eure Fragen sein, lasst uns gemeinsam gehen: der Geist wird euch führen, vertraut dem Geist. Habt keine Angst, in einen Dialog einzutreten, und lasst euch von diesem Dialog erschüttern: Es ist der Dialog des Heils.“

Das hat uns gerade noch gefehlt! Genau das! Genau das wünsche ich mir. Und ich finde, das ist eine tiefgreifende spirituelle Revolution. Ich wünsche sie mir für unser Bistum, für die Gemeinden. Am 13. November werden wir mit dem Priesterrat und dem Diözesanrat unsere Erfahrungen mit diesem „Gemeinsam-gehen“ teilen.

 

Aber ich finde, das reicht nicht. Das unterbietet die Herausforderung. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Pfarrgemeinden und Einrichtungen sich auf den Weg machen, ihre eigene Praxis überprüfen und kritisch hinterfragen, ob wir wirklich auf dem radikalen Weg der Begegnung, des Zuhörens und des Unterscheidens sind – und ob wir erspüren, wie sehr nah Gott uns auf diesem Weg ist. Und ja, ich wünsche mir, von Ihnen und Ihren Erfahrungen zu hören, von unserem Lernweg.

 

Es ist nicht eine neue Methode oder Programm. Es geht um mehr. Ja, um alles. Das hat uns wirklich noch gefehlt.“

 

 

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